Sonntag, 7. November 2010

Untertürkheimer Schlachtschiff

Guten Tag, mein Name ist Matti Alexander Bohm. Ich komme ursprünglich aus der Nähe von Oldenburg und bin Halb-Finne. Die Begeisterung für alte Autos äußerte sich bei mir bereits in jungen Jahren, mein alter Herr musste mit mir früher immer nach Bockhorn oder zur Techno Classica pilgern. Auch mochte ich damals lieber mit alten, verranzten Matchbox-Autos spielen, die vom Flohmarkt kamen, als mit den neuen aus der Packung.

Meine erste alte Karre stand konsequenterweise dann schon kurz vor meinem 17ten Geburtstag vor der Tür. Dass der für 960 Euro ersteigerte Commo B meinem Vater viele Kopfschmerzen und mir dafür umso mehr ungeahnte Freude bereiten würde, war spätestens ab diesem Moment klar. Dennoch möchte ich an dieser Stelle meinem Vater Hartmut danken, der mich bereits in jungen Jahren auf die automobile Überholspur gezerrt hat. Letzten Endes führten meine positiven Erfahrungen mit dem Commo dazu, dass mein Vater seine alle 3 bis 4 Jahre wechselnden Neuwagen gegen einen amtlichen 91er 560 SEC wechselte.

Dass dem Commo bis zum heutigen Tage noch 12 weitere mehr oder weniger verlebte Blechschlampen folgen sollten, konnten mein alter Herr und ich damals noch nicht ahnen. Falls er es doch gewusst hätte, so hätte er wahrscheinlich schon beim Commo sein Veto eingelegt, um mich vor der Altblechsucht zu bewahren. Die hat mich nämlich inzwischen voll im Griff und zum Glück gibt es dafür keine Ersatzdroge.

Diese Sucht hat mich nun ins Detroit Deutschlands geführt – nach Stuttgart, wo ich eine Ausbildung zum Mechatroniker in einem bekannten Restaurierungsbetrieb für 300 SL absolviere. Ein Ende dieser Leidenschaft ist nicht abzusehen und vermutlich werden mich alte Autos bis zu meinem letzten Atemzug beschäftigen und vor allem bewegen, selbst wenn es für mich bedeuten würde, dass ich wie Mel Gibson in „Mad Max“ mir die letzten fossilen Brennstoffe erkämpfen müsste.


So viel zu meiner Person, kommen wir nun zu den wichtigen Dingen im Leben - dem Benzingeruch verbreitenden Untertürkheimer Schlachtschiff vor meiner Haustür. Was soll man zu einem Auto schreiben, über das schon so viel veröffentlicht wurde? Ich könnte mich der Geschichte des W116 mit der selben schwäbisch-peniblen Art widmen, wie sie wohl damals auch die Ingenieure bei Mercedes an den Tag gelegt haben, doch das führt zu weit und meilenweit an der Geschichte vorbei, die ich erzählen möchte. Hier geht es nicht um ein Ausstellungsstück, das tot konserviert wie ein ägyptischer Pharao irgendwo herumsteht. Also wozu der Geschichte mehr Aufmerksamkeit schenken als der Gegenwart? Denn im Gegensatz zum erwähnten ägyptischen Klopapierhalter lebt mein Benz noch – und wie!

Der Benz ist meine Alltagsschlampe, also berichte ich doch lieber von den Erfahrungen im Alltag.
Ich war nie ein großer Fan vom 116er, aber der Zufall wollte es, dass ich doch zu einem kam. Nach glücklosen Affären mit zwei Kleinwagen als Winterautos musste wieder was Amtliches her. Glück, dass mein Arbeitskollege einen 78er W116 280S hatte, der verschwinden sollte, um dem elterlichen Carport wieder Freiraum zu gönnen.
Also hingefahren, angeschaut und gleich beschlossen, den Wagen mitzunehmen und wieder auf die Straße zu bringen. Drei Jahre hatte der Wagen insgesamt gestanden, davon ein Jahr ungeschützt und ohne Drehen des Motors unter besagtem Carport. Der classicweiße Lack war stumpf wie eine Schultafel und das Weiß betonte doch sehr schön die vielen kleinen beginnenden Rostflecken. Der Wagen hatte natürlich keinen TÜV oder gar ein H-Gutachten und hielt einiges an Arbeit bereit, bot aber die perfekte Basis für einen patinierten Alltags-Schlachtkreuzer, der bereit ist für den harten Einsatz im rauen Verkehrskrieg der Großstadt.


Bevor der Tausender auf den Tisch gelegt wurde, also erstmal gründliche Bestandsaufnahme. 97tsd originale Kilometer, elektrisches Stahlschiebedach, Servolenkung und Automatik mit Wählhebel am Lenkrad. Nach einem Jahr Standzeit befand sich nicht der geringste Ölfleck auf dem staubigen Boden! Sogar die Kaufunterlagen und die Visitenkarte des damaligen Verkäufers waren noch vorhanden. Nachdem eine neue Batterie in den verschwenderisch großen Motorraum geschmissen wurde, verrichteten alle Verbraucher und Anzeigen sofort und ohne Geräusche ihren Dienst. Beim ersten Startversuch lief dann erstmal literweise alter Oktansaft durch die alten Spritschläuche, die nur noch von der Gewebehülle zusammengehalten wurden. Also getauscht und siehe da: der Motor sprang auf Schlag und ohne zu orgeln an und verrichtete mit der Ruhe und Zurückhaltung seinen Dienst, wie es damals seine Erbauer vorgesehen hatten. Kein Rauchen, kein Husten - Abfahrt!

Die 650 km Richtung Norden legte der Wagen ohne vorherigen Service zurück und machte keinerlei Probleme. Anschließend ging’s dann im Heimaturlaub in Norddeutschland ans Eingemachte. Front und Heck komplett zerlegen, entrosten und lackieren, Lack wiederbeleben, Bremsen rundum, alle Flüssigkeiten und Filter tauschen, Innenraum aufarbeiten, den Auspuff erneuern und den üblichen Kleinkram, den jeder kennt, der selbst an altem Blech schraubt.
Da die 14-Zoll-Steelies mit Radkappen und 185er-Pellen alles andere als standesgemäß an diesem Auto aussahen und eben auch der Straßenlage nicht sonderlich gut taten, kamen noch zeitgenössische 15-Zoll-Melber-Alus mit 205er-Bereifung im damaligen AMG-Design auf den Wagen. So bekam der 116er frischen TÜV ohne jegliche erkennbare Mängel und auch das H-Gutachten war nur noch eine Formalität.



Also ging’s mit dem Wagen wieder zurück Richtung Stuttgart. Ich habe seitdem ca. 10tsd km Alltagsbetrieb mit dem Wagen erlebt und bis auf ein lockeres Kabel am Sicherungskasten keine Probleme gehabt. Die Innenausstattung in Verbindung mit dem Fahrwerk bietet ein sehr komfortables, nahezu modernes Fahrgefühl, wie man es einem 31 Jahre alten Auto nicht zutrauen würde. Der Wagen lässt sich im Großstadtdschungel trotz seiner annähernd 1700 kg Leergewicht absolut souverän dirigieren und auch das Einparken ist trotz seiner gewaltigen Abmessungen von knapp 5 Metern in der Länge und fast 1,90 Metern Breite ein absolutes Kinderspiel. An alle Ingenieure: baut die Autos wieder eckig, dann braucht man auch keine Einparkhilfen jeglicher Art!
Dass der 2,8-Liter-Reihensechszylinder „Hemi“ (ja, der 280er besaß halbkugelförmige Brennräume) mit Querstromkopf aus Aluminium sowie doppelten, oben liegenden Nockenwellen und seinem eher sportlichen Charakter (226 NM) alles andere als ideal für diesen Stuttgarter Panzer ist, muss wohl nicht erwähnt werden. Das können die V8 in 350, 450 oder 450er 6.9 Version besser!

Im unteren Bereich wirkt der Motor doch recht müde und angestrengt, kommt er allerdings in die oberen Drehzahlbereiche, so gewinnt die ganze Fuhre dann doch deutlich an Fahrt und Beschleunigungsvermögen, auch wenn der Wagen eindeutig ein Cruiser der alten Schule ist. Null Fahrgeräusche, null Klappern oder Knarzen. Alles funktioniert kaum spürbar und butterweich.

Heißt's beim Ampelstart dann ausnahmsweise mal doch „Pedal to the Metal“, so ziehen die von einem Solex-Registervergaser befeuerten 160 Pferde die Kutsche durchaus vehement bis 100 km/h nach vorn, sofern die ersten drei Gänge der 4-Gang-Automatik voll ausgedreht werden. Auf der Autobahn ist dann bei Tacho 200 und echten 185-190 km/h Schluss mit dem Vorwärtsdrang. Aus dem Verlangen nach Drehzahl und dem schweren Wagen in Verbindung mit einer Automatik resultieren dann dementsprechend Verbrauchswerte bis hoch zu 19 Litern Super auf 100 Kilometern! Dank des 96-Liter-Tanks ist dadurch trotzdem genügend Reichweite sichergestellt, ebenso wie ein glückliches Gesicht jedes Tankstellenpächters zwischen Flensburg und München. Ein weiterer erwähnenswerter Punkt ist das doch sehr amerikanische Design des 116er mit den doppelten, massiven Chromstoßstangen und dem großflächigen und glatten Design. Es wirkt fast so, als wäre er aus dem Vollen gefräst. Doch was soll ich ihn großartig beschreiben, schaut nur die Bilder an und ihr wisst, was ich meine.

Abschließend kann man sagen, dass der W116 sich in der heutigen Zeit nicht verstecken muss. Egal ob Fahrkomfort, Geräuschkulisse, Fahrleistungen oder Design. Er ist absolut ohne Wenn und Aber alltagstauglich - wenn man nicht gerade Kurierfahrer ist (ja ja, der Spritverbrauch …). Außerdem gibt es ausreichend gebrauchte Ersatzteile für diese Baureihe. Dass man beim freundlichen Daimler-Vertragshändler nahezu alle Teile neu bekommt, ist obligatorisch.


Dieser Artikel erschien im ABGEFAHREN Magazin #3Text und Fotos: Matti A. Bohm

2 Kommentare:

  1. wow, klasse Wagen und sehr schön Geschrieben

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  2. Ja, ein wirkliches Schlachtschiff! Das Auto hat richtig Stil! Darhin kann man eine schöne Sonntagsausfahrt machen! :-)

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