Montag, 22. November 2010

Detroit - Gegenwart der Motorcity

Reist man heute in die einzig wahre Autostadt, so kann man den vergangenen Boom der einst  ruhmreichen Automobilindustrie nur erahnen. Die Stadt, in der bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts 9 von 10 aller amerikanischen Automobile vom Band liefen, hat ihren Glanz schon lange verloren.


© GM Media
 Mit der Auslagerung der Produktion in die Vororte bzw. größtenteils auch in den Süden des Landes, begannen die „großen Drei“, General Motors, Ford und Chrysler, bereits Ende der 1960er Jahre. Suburbanisierung, Arbeitslosigkeit und soziale Konflikte waren die fatalen Folgen, von denen sich die Motorcity bis heute nicht mehr erholen konnte.


1899 eröffnete Ransom Olds die erste Autofabrik in Detroit. Kurze Zeit später folgten andere Gründer wie z.B. Henry M. Leland (Cadillac Automobile Co.), David D. Buick und auch Henry Ford, der 1913 das Fließband einführte, um sein T-Modell noch günstiger produzieren zu können.

General Motors wurde am 16. September 1908 von William C. Durant gegründet, welcher in den kommenden Jahren viele weitere Marken wie z.B. Buick, Oldsmobile oder Cadillac erwarb. In den 20ern expandierten die „großen Drei“ auch in viele europäische Länder, so wurde unter anderem der damals größte Autohersteller Europas, Opel aus Rüsselsheim, von GM übernommen.


© GM Media


Die Entwicklung des Automobils war kaum zu stoppen. 1939 wurden die ersten Automatikgetriebe bei Oldsmobile eingebaut. Mit der Ära der ersten Straßenkreuzer kam 1951 die Servolenkung auf dem Markt. Auch das Design entwickelte sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts ständig weiter. Verglichen mit den ersten „motorisierten Kutschen“ setzten die Modelle der 30er Jahre ganz neue Maßstäbe. Der Cadillac La Salle war das erste von einem Designer entworfene Auto.
Spätere Modelle der 60er und 70er Jahre aus den Detroiter Ateliers galten damals als Taktgeber modernen Industriedesigns. Wer sich die schönen Linienführungen der damaligen Karossen anschaut und diese mit den aktuellen charakterlosen Modellreihen vergleicht, weiß, welch positiven Einfluss der wirtschaftliche Erfolg der Autobauer damals auf die Designer hatte.


© Chrysler Group LLC.
 Die Stadtdichte wuchs rapide an, Fabrikarbeiter wurden gebraucht und auch sehr gut bezahlt. Auf die Frage, warum Henry Ford seine Arbeiter so gut bezahle, antwortete er folgerichtig: „Damit sie sich meine Autos leisten können“.
Die „großen Drei“ schufen die Autostadt schlechthin. In Detroit gab es die erste Stadtautobahn, die ersten riesigen Shopping-Malls am Stadtrand. Es entstand ein Wolkenkratzer nach dem anderen. Theater- und Kinopaläste säumten die Straßen. Stolz wurde 1955 die Straßenbahn demontiert, die unrentabel geworden war: Die Arbeiter konnten und hatten sich ein Auto zu leisten. Doch die Kehrtwende erfolgte prompt: Die „Detroit Riots“, soziale Unruhen, die jeweils in den Jahren 1943 und 1967 eskalierten, führten dazu, dass die weiße Arbeiterschaft aus dem Zentrum fast fluchtartig in die Vorstädte zog, wo es ruhiger zuging.

Fast 2 Millionen Einwohner hatte einst die Motorcity am Höhepunkt des automobilen Aufstiegs. Heute sind es gerade mal 900.000 Menschen. Der Großteil davon lebt in den Suburbs, Vororte mit netten, gepflegten Häuschen und Gärtchen. 78% der Bevölkerung sind Weiße mit überdurchschnittlichem Einkommen.

Das Kontrastprogramm dazu bietet Detroit Downtown: Verfallene, ausgebrannte Häuser prägen das Stadtbild. Zahlreiche Kaufhäuser, Büros und öffentliche Einrichtungen sind verwaist. In manchen Straßenzügen gleicht Motorcity einer Geisterstadt.


© GM Media

In einschlägigen Gegenden wird an roten Ampeln generell nicht angehalten, zu groß ist die Angst, Opfer eines am hellen Tage stattfindenden Raubüberfalls zu werden. Und das mit Recht: Die Stadt rangiert auf Platz drei der US-Kriminalstatistik.
Viele Fenster sind mit Sperrholzplatten vernagelt, Hunde streunen umher. Aus verwahrlosten Fabrikgebäuden demontieren Junkies Kupferbleche und Regenrinnen aus Metall, um ihre Sucht zu finanzieren. Insgesamt leben nur noch
26% der Bewohner in der Inner City. In den letzten 30 Jahren wurden über 100.000 Gebäude abgerissen, Neubauten kamen kaum hinzu. Der Großteil der Flächen sind nun Brachland, Wiesen oder ungepflegte Parkplätze.

Staatliche Versuche der Reurbanisierung hatten bislang nur mäßigen Erfolg. 1977 wurde am Detroit River das Renaissance Center errichtet, welches mit integriertem Hotel, Restaurants, Geschäften sowie mit modernen Büroflächen zur Stadtbelebung beitragen sollte. Heute ist es das Hauptquartier von General Motors - einst der größte Autobauer der Welt, im vergangenen Jahr kurz vor dem Aus.

Aktuelle Bilder aus der Motorcity gibts bei Flickr.

Dieser Artikel erschien im ausverkauften ABGEFAHREN Magazin #01
Text: Alex Boehm

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen