Freitag, 28. Januar 2011

SAAB 900 – Schon als Neuwagen ein Klassiker

Es hält sich das hartnäckige Gerücht, der Saab 900 wäre der Golf unter Kreativen und Individualisten. Doch in diesem Zusammenhang wäre die Behauptung stimmiger, dass der Ford Mustang das Mainstream-Gefährt unter den Pseudoliebhabern amerikanischen Blechs sei. Zudem dessen Besitzer in der Regel auch noch „irgendwas mit Medien“ machen.

Marvin aus Hamburg macht ebenfalls etwas mit Medien. Er ist Art-Direktor. Doch zu seinem Saab 900 kam er über einige Umwege. Auf einen Opel Corsa folgte ein Audi A3 und darauf ein moderner Saab 9-3. Doch richtig glücklich wurde Marvin mit diesen Gefährten nicht. Bei einem Besuch der Gebrauchtwagenabteilung des örtlichen Saab-Händlers entdeckte Marvin schließlich seinen 900er Turbo. Es handelte sich um ein 87er „Aero“-Modell mit der begehrten 16S-Motorisierung. Ein 2-Liter- 16V-Motor bringt das serienmäßig tiefergelegte Sportcoupé innerhalb von 9 Sekunden aus dem Stand auf 100km/h. Dank des Airflowkits beträgt die Spitzengeschwindigkeit beachtliche 205km/h. Und der schöne Sound des Voll-Turbos verkörpert zusammen mit der Lederausstattung inklusiv serienmäßiger Sitzheizung typisch schwedisches Flair. Ein weiterer Beweis für die Individualität der alten Saab-Schule war zum Beispiel die Anordnung des Zündschlosses zwischen den Vordersitzen sowie die große Sicherheitswindschutzscheibe, die an ein Flugzeugcockpit erinnert. Es gibt jedoch ein Ausstattungsmerkmal, über welches jeder Saab verfügt: Die serienmäßige Sitzheizung, welche ein Saab-Ingenieur erstmals 1971 entwickelt hatte, um einem an Rückenschmerzen leidenden Vorstandmitglied an kalten, frostigen Morgen die Schmerzen zu lindern. Kurz darauf wurde diese Erfindung in die Serienproduktion aufgenommen.

Eine ebenfalls ungewöhnliche Lösung stellt auch das Antriebskonzept dar. Der Motor ist längs eingebaut und überträgt seine Kraft mittels drei Ketten auf das direkt unter dem Motorblock angeflanschte Getriebe, welches die Vorderräder antreibt. Eine besondere und zugleich geniale Konstruktion, denn das Getriebe ist samt Differential praktisch in der Ölwanne untergebracht. Im Prinzip ist die Modellreihe 900 das am besten durchdachte Fahrzeug, welches die Saab-Ingenieure je gebaut haben. Es war eben eine konsequente Weiterentwicklung des bereits sehr erfolgreichen Saab 99, wobei das Unternehmen damals ja noch Lichtjahre von der Beteiligung des späteren Mutterkonzerns GM entfernt war. Das eigenwillige Design war zwar als etwas schrullig verschrien, erinnerte jedoch an den Ur-Saab und vor allem an die Historie des Unternehmens im Flugzeugbau. Die traditionell hohe Qualität und Zuverlässigkeit ergänzte Saab beim 900er mit einem großen Kofferraumvolumen und einem straffen, äußerst wintertauglichen Fahrwerk.

Doch um auch im oberen Marktsegment zu wildern, benötigten die Schweden leistungsstärkere Motoren. Schließlich bot die Konkurrenz um Mercedes W123 und Opel Senator neuentwickelte 6-Zylinder-Triebwerke mit Leistungen an, die an der 200-PS-Marke kratzten.
Doch ein 6-Zylinder bedurfte einer kompletten Neuentwicklung und war somit für die Schweden nicht rentabel. Zudem bot das Antriebskonzept mit dem integrierten Getriebe nicht sonderlich viel Platz unter der Motorhaube. Also musste eine andere Lösung her. Mitte der 70er Jahre hatte Saab schon mit dem damaligen Konzernpartner Scania begonnen, einen Benzinmotor mit Turboaufladung zu entwickeln, welcher bereits kurzzeitig beim Vorgänger-Modell zum Einsatz kam. Doch die ersten Generationen waren leider Saab-untypisch unzuverlässig. Die Turbolader quittierten in der Regel vorzeitig ihren Dienst, sodass mancher Besitzer dem Tipp des Werkstattmeisters seines Vertrauens folgte und den Turbo abklemmen ließ, was jedoch die Bleifußaktivitäten auf der linken Spur auf ein Minimum reduzierte. Mit der Zeit bekam Saab doch auch dieses Problem in den Griff. Es wird aber trotzdem wärmstens empfohlen, den Turbo immer warm und wieder kalt zu fahren, was übrigens für sämtliche Turbo-Fahrzeuge vergangener Baujahre gilt.


Schließlich konnte man Ende der 70er Jahre kaum ein cooleres Auto fahren, wenn man bedenkt, dass die VW Käfer, Opel Rekords und die Ford Granadas damals das Straßenbild hierzulande beherrschten.
So kam der Saab 900 vor über 30 Jahren auf den Markt, doch richtig gealtert ist er nicht. Ob es nun an den Langzeitqualitäten oder wohlbetuchter und gewissenhafter Erstbesitzer liegt, sei dahin gestellt. Es ist ein absolutes Erfolgsmodell geworden, welches übergangslos zum Klassiker gereift ist.

Darüber freut sich auch Marvin jeden Tag, wenn er morgens in sein Auto steigt, schließlich begegnen ihm auf dem Weg zur Arbeit garantiert andere Saab 900-Piloten. Stets mit einem freundlichen Lichthupengruß – ausgenommen die älteren Herrschaften in ihren Cabrios ...

Dieser Artikel erschien im ausverkauften ABGEFAHREN Magazin #03
Text: Alex Boehm

2 Kommentare:

  1. Jaja, der 900er. Hat meine Kindheit geprägt und begleitet, weil der Vater eines Jugendfreunds regelmäßig einen anderen als Alltagsschrubber und Aggressions-Abbaugerät missbrauchte. Er war Pharma-Referent und prügelte das Ding immer mit mindestens 200 Sachen über die Autobahn (den Turbo auch mal mit 230), stets den Scania-Truckern mit seiner extravaganten Coffee-Mug durchs offene Schiebedach zuprostend. Kein Witz, ich war dabei, und die Nadel stand dabei noch auf 180. Zu unserem schrecklich normalen Renault 19 waren die Saabs ein irrer Kontrast, den ich meist genoss und auch verfluchte, weil ich auf längeren Urlaubsfahrten das ein oder andere mal die Rücksitzbank vollkotzte. Passierte auch mal auf einer Hunsrück-Serpentinenstraße, die Dinger lagen ja auch so verflucht stabil wie eine Nordland-Schneewalze...Wie auch immer: Vergessen wird übrigens gerne das Zwittermodell 90, bis zur B-Säule ein 99, dahinter ein 900er. Skurril, selten, und von Pharma-Daddy ebenfalls bis zur Unkenntlichkeit verbraucht. Verdammt, ich brauche auch sowas, mein Therapeut rät zu mehr Mobilität im Alltag...

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  2. Kann es sein, das wir denselben Pharmareferenten kennen?
    Wenn ja, dann fährt der übrigens immer noch 900 turbo - und hat auch keine Absicht, das zu ändern.

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